Totgetrollt – Kapitel 9

Am nächsten Tag klingelte früh mein Telefon zu Hause, der Chief war dran. Er machte mal wieder unmissverständlich klar, was für ein nervender überheblicher Choleriker er doch sein konnte, und forderte mich auf, sofort ins Präsidium zu kommen, um den Fall aufzuklären. Der Bericht der KTU war da, Jack war da, zwei Verhaftete und kein Pete Harrison. Ich legte nach seiner Standpauke wortlos auf, machte mir einen Kaffe und steckte mir eine Zigarette an. Nachdem ich ausgeraucht und ausgetrunken hatte, marschierte ich, notgedrungen, mein Auto war ja in der Reparatur, ins Präsidium. Von weitem hörte ich schon den Chief plärren, wo ich bleibe und was ich mir dachte. Ich ignorierte es und setzte mich zu Jack, der in meinem Büro wartete.
Die KTU konnte das Blut beider Opfer am Kostüm im Van nachweisen, nicht jedoch Pauls Blut. Das wiederum hatte man an Edwards Kostüm gefunden. Das Ganze ergab keinen Sinn für mich, zwei identisch aussehende Kostüme.
Ich las im Bericht weiter. Seite um Seite nutzlose Details. Keine brauchbaren intakten Fingerabdrücke, keine Spuren die irgendwie nützlich waren, nur ein halber Abdruck eines Daumens am Zündschloss des Vans, der dem Portier zugeordnet werden konnte.
Wir holten den Portier, und der erzählte uns mal wieder haarklein von vornherein warum er diese ganzen Verrückten nicht verstand. Was er jedoch mal wieder ausließ, war, dass das Ganze damals nur wegen der Pöbelei gegen seine Tochter angefangen hatte.
Wir fragten ihn nach Beendigung seiner Erzählung, warum er genau jenes Detail verschwiegen hatte.
„Mein Privatleben geht Sie überhaupt nichts an, das ist vor Ihren Mordfällen gewesen. Diese Verrückten stellen doch alles auf den Kopf. Keine Vernunft, bauen nur Mist, machen viel Klamauk und bringen kein Geld, so was muss ich als Geschäftsmann nicht mögen.“
Er ließ noch einen Haufen Beleidigungen vom Stapel und verweigerte jede weitere Zusammenarbeit. Mir war das Ganze gelinde ausgedrückt scheißegal. Kaum traten wir aus der Tür des Verhörzimmers, stand auch schon wieder unser Wutzwerg da.
„Hat er gestanden? War ers?“
Wir erzähltem ihm kurz, was er gesagt hatte, und ließen ihn stehen.
„Ich ruf dann mal die Staatsanwaltschaft an, dann kanns ja nur der komische Wolfszwerg da in Zimmer zwei sein.“
Ich drehte mich um und stapfte stinksauer auf ihn zu.
„Wir haben genug Probleme mit Idioten, die uns außserhalb der Präsidien behindern, glauben Sie allen Ernstes, voreilige Schlüsse zu ziehen bringt uns weiter?“
Ich wandte ihm den Rücken zu und folgte Jack ins zweite Verhörzimmer. Der Chief stapfte mir lautstark nach, was mich wenig störte, denn kaum war ich im Zimmer, schepperte es und ich schloss die Tür hinter mir ab. Draußen tobte der Chief und ich ließ ihn toben. Im schlimmsten Fall würde er mich rausschmeißen oder mir die Pension streichen, aber das war mir in dem Moment egal, ich hatte noch 7 Stunden ehe die Gäste abreisten und musste die Zeit nutzen.
„Pete, das gibt noch Ärger“, grinste Jack und deutete auf die Tür. Ich zuckte mit den Schultern und sah Edwards an.
„Dein Chef ist nicht hier, wir sind ungestört, also was ist es, das dich bedrückt.“
Ich musterte ihn und wartete ab. Jack klopfte ihm auf die Schulter und sprach ihm gut zu. Die beiden schienen sich ohnehin hinter meinem Rücken besser verständigt zu haben, als ich es mitgekriegt hatte. Es dauerte eine Weile, also zündete ich mir eine Zigarette an und lehnte mich zurück.
„Auch eine?“, fragte ich Edwards, ohne daran zu denken, dass er gar nicht rauchte. Gerade als es mir einfiel, griff er nach der Schachtel und zitterte. Irgendwas stimmte hier nicht. Ein 25-jähriger Bursche sitzt da wie jemand auf dem Weg in die Todeszelle und zittert. Fasziniert beobachtete ich, wie Edwards vor lauter Zittern die Zigarette nicht anbekam. Ich zündete ihm eine an und reichte sie ihm wortlos rüber. Er saß da, den Kopf gesenkt, und rauchte unter sich.
„Ich wars…“, mich hätte es beinahe rückwärts vom Stuhl gehauen. „Ich war das im Hafen, ich hab den Kollegen so zugerichtet, aber ich wollte ihn nicht so schwer verletzen …“
„Halt, Moment …“, fuhr ich dazwischen, „du hast den Kollegen niedergeschlagen? Warum, wieso denn? Fang mal am besten ganz von vorne an.“

Edwards holte tief Luft und sah mich an.
„Wissen Sie noch, vor 5 Jahren, der Fuchs?“
Ich nickte, die Geschichte war uns ja bekannt
„Das war ich.“
Jack hakte nach: „Du bist doch ein Wolf … wir haben dich eindeutig als Wolf gesehen“.
Edwards nickte, und sah traurig Jack an.
„Ich war mal ein Fuchs, bis das mit der Tochter vom Portier passiert ist. Sie hatte mir erzählt, wer ihr Vater war, und wir hatten uns für den Abend verabredet. Da kam es dann zu dem Zwischenfall mit dem betrunkenen Troll. Seitdem ist der Portier auch ein Troll.“
Ich sah Edwards fragend an, gut, der Portier hatte gewisse Ähnlichkeiten mit einem unter der Erde lebenden Wurzelgnom, der Böse ist aber ein Troll …
Edwards sah meinen fragenden Blick. „Trolle nennen wir Furs und die Leute im Internet all jene Personen, die stänkern, Krach machen und rumpöbeln, salopp gesagt. Sie trollen sich von Forum zu Forum, um Unruhe zu stiften. Daher nennt man sie Trolle. Naja, damals hatte sie ihren Vater geholt, als der rauskam, lag ich bewusstlos am Boden. Er schickte sie wieder rein ins Hotel und zog mich beiseite. Keine Ahnung, warum das niemand gesehen hat, jedenfalls kam ich zu mir und war noch in Montur, offenbar hatte er meinen Suit nicht aufbekommen und wollte ihn nicht kaputtmachen. Jedenfalls machte er mir unmissverständlich klar, dass ich abreisen und verschwinden sollte, da niemand weiß, wer unter welchem Kostüm steckt, fiel es auch nicht weiter auf, dass ich die letzten beiden Tage der Con normal herumlief.“
Edwards holte sich noch eine weitere Zigarette.
„Gleichzeitig verschwand die Tochter vom Portier, er hatte sie in ein Schweizer Internat bringen lassen. Sie hat mir eine SMS vom Flughafen über ein ausgeliehenes Handy geschrieben, darin stand auch, dass Sie nach 5 Jahren wieder zurückkäme, wenn sie die Schule beendet hätte.“
Jack und mir wurde in der Zwischenzeit klarer, worauf das Ganze hinauslief, wir ließen den jungen Edwards aber weitererzählen.
Nach zwei Jahren kehrte ich als Wolf zurück, da mein Fuchs zu auffällig gewesen wäre, und versuchte, etwas über ihren Verbleib herauszufinden, aber keiner wusste, wo sie war. Ich entschloss mich daraufhin, im Hotel zu arbeiten. Im Jahr danach bat ich den Portier, der mich zum Glück nicht erkannte, um einen job. Er machte mich zum Pagen. Ich habe mich eingearbeitet und sein Vertrauen erschlichen, leider half mir das auf der Suche nach seiner Tochter auch nicht weiter. Ich fand keine Hinweise auf ihren Verbleib. Letztes Jahr fand der Portier dann heraus, dass ich ein Wolf bin, er hat mich am letzten Tag der Con erwischt und war stinksauer. Er wolle einen verrücktenfreien Betrieb, aber er könne eine Ausnahme für mich machen. Einmal im Jahr krieg ich meinen Suit und darf hier mitfeiern, die restliche Zeit passt er darauf auf, damit ich keinen Mist in seinem Hotel baue. Da ich ja wissen wollte, wohin er seine Tochter gebracht hatte, ging ich auf den Deal ein.“
An der Tür klopfte es und ich brummte lautstark „Nicht Jetzt!“ Als Antwort wurde ein weiterer Bericht unter der Tür durchgeschoben. Jack ging hin, sammelte ihn auf und murmelte „Interessant“. Ich sah ihn an und er klärte mich auf. Der Suit aus dem Van ist eine exakte Kopie von Edwards Suit, nur dass er nicht für ihn maßgeschneidert ist. Er ist ungefähr 6 cm länger als seiner.“
„Edwards, wie groß bist du?“, fragte ich den Jungen.
„1 meter 64. warum?“
Ich sah Jack an und kramte in der Akte rum. Der Portier war ca 1,68 und war etwas kräftiger gebaut als Edwards.
„Red weiter, Edwards“, sagte ich und legte den zweiten Bericht beiseite.
Ich hab viel geschnüffelt und bin oft um Haaresbreite vom Portier erwischt worden, aber der meinte nur, ich könnte lange suchen, den Suit würde ich nicht so leicht finden. Er ahnte gar nicht, dass es mir nicht um den Suit ging sondern um seine Tochter. Dieses Jahr war aber alles anders, er hatte so gute Laune, war fröhlich und unbesorgt. Das machte mich misstrauisch, also behielt ich ihn im Auge. Als er mir dieses Jahr meinen Suit gab für die Convention, grinste er so schmierig und meinte nur, es wäre eh die letzte, da das Hotel sie im nächsten Jahr nicht mehr veranstalten wollte. Ich bin skeptisch gewesen und hab ihn nicht mehr aus den Augen gelassen, solange er im Hotel war. In der Tiefgarage hatte er sogar selber mal so ein Fell an, aber ich habe nicht erkennen können, was es für ein Tier war, Pfoten und Rute haben gefehlt und es war halbdunkel. Gestern sollte ich dann Hummer kaufen gehen, er fuhr mich. Ich hatte drei Kisten im Gepäck. Am Hafen hat er dann gesagt, ich soll in meinem Suit einkaufen, er will eine besondere Einlage machen, und wenn ich meinen Job mag, soll ich mitspielen. Ich wusste nicht warum, aber ohne Job keine Chance rauszufinden, wo sie war. Ich ließ mich breitschlagen. Er ließ mich bei den Verladekränen zwei Blocks vor der Fischhalle raus und meinte ich solle dort zwanzig Minuten warten, bis dahin sei er an der Fischhalle zum Einkaufen. Das nächste, was dann passierte, ist, das ich niedergeschlagen wurde.“
Als ich zu mir kam, sah ich zwischen den Containern heraus einen Wolf auf den Kran klettern und den Wagen mit dem Kerl drin. Ich wusste nicht, dass er Polizist war, aber ich sah, wie der Kran sich in Bewegung setzte. Ich hab den Kerl ausm dem Auto geholt und ihn so fest ich konnte geschlagen. Dann hab ich ihn auf die Seite gezogen, kurz darauf krachte ein Container aufs Auto und der Kofferraum sprang auf. Ich hatte Angst, der hat sich nicht mehr gerührt …“ Edwards brach ab und schluckte heftig.
Jack fuhr mit der Erzählung fort:
„Du hast gedacht, du hast ihn umgebracht, und hast ihn in den Kofrerraum geworfen. Weil du den anderen Wolf gesehen hast, dachtest du, dass man dir alles anhängt, stimmts?“
Edwards nickte nur.
„Also bist du zurück zum Hotel und hast deinen Suit versteckt. Als du ankamst, war der Portier schon da oder noch nicht?“
Edwards überlegte kurz und antwortete zittrig: „Der war schon da, er sagte, nachdem ich nicht gekommen sei, hätte er eben nichts für meine Freunde eingekauft und es gäbe demnach nur Dosenshrimps.“
Jack brummte abfällig. „Sieht dem Kerl ähnlich. Wir haben also ein Kostüm, das dem Portier passt, ein unglückliches Ereignis und einen Augenzeugen.“
Jack las noch ein wenig weiter im Bericht über die Fursuits und lachte laut los.
„Pete, das glaubst du nie im Leben. Hier steht, dass die Schuhe von dem Suit des Mörders Maßschuhe sind mit einer Kundennummer in der Schuhsohle unter der Einlegesohle mit Aufschrift: Bei Fund bitte schicken an *Geschäftsadresse des Schusters*, Kundennummer, und jetzt rate mal, wem die gehören …“
Ich schüttelte nur den Kopf und musste schmunzeln. Wir entließen Edwards mit der Auflage, sich zur Verfügung zu halten und trösteten ihn. Dadurch, dass er dem Kollegen das Leben gerettet, hatte sah die Staatsanwaltschaft davon ab, ihn als Mittäter ins Boot zu nehmen.
Vor der Tür tobte wie immer der Chief, der sich über die Budgetüberziehung aufregte, aber er hatte selber gesagt, das Präsidium zahlt die Reparatur. Was er nicht wusste, war, dass ich bei der Gelegenheit gleich ein paar Chromteile einbauen und den Motor verchromen ließ. Leider tauchten diese nicht auf der Rechnung auf, sondern wurden unter Materialkosten verwurstet, was mir egal war. Nachdem wir ihn aufgeklärt hatten, beruhigte er sich bezüglich des Falles jedoch direkt und stampfte zufrieden brummend davon.
Nachdem wir dem Portier alles haarklein geschildert hatten, fragten wir ihn, ob er es war oder nicht. Ein Nein hätte die Höchststrafe bedeutet, weil dass er dies wusste, kooperierte er. Jack war nun Teil meines Büros, und zum Abschluss dieses vermurksten Falles gingen wir einen Kaffee trinken.
Der Reporter hatte das Haus des Dealers damals im Übrigen zum Hinterausgang verlassen, und mit ihm 60g feinstes Marihuana. Er verantwortete sich in einem seperaten Prozess wegen Betäubungsmittelverstoßes.
Die Tochter des Portiers war wirklich zurückgekehrt. Nach den fünf Jahren erkannte man sie kaum noch, sie arbeitete an der Rezeption, direkt vor Edwards Nase unter der Kontrolle des Portiers. Was aus den beiden geworden ist, weiß ich nicht, aber ich werde es bestimmt auf der nächsten Con herausfinden.

(Ich hoffe der Ausflug hat euch gefallen, euer Pete Harrisson)

Ich bin lange dabei aber so krank verrückt war es irgendwie noch nie.