Totgetrollt – Kapitel 2

Am Morgen darauf fühlte ich mich schon wesentlich besser, drum gabs Spiegeleier, Frühstücksspeck und Toast zusammen mit einer leckeren Tasse Kaffee. Frisch
13 gestärkt und fit für den Tag setzte ich mich ins Auto und fuhr den kurzen Weg zur Dienststelle. Es war ein schlechtes Omen, der Himmel hatte die Schleusen geöffnet und dementsprechend waren die Straßen voll mit Autos. Nach einer gefühlten Ewigkeit war ich endlich im Revier angekommen und ahnte noch nichts von dem, was dieser Tag mir bieten würde. Zu Beginn wurde ich von Jack und ein paar Kollegen begrüßt, einer fragte mich, ob ich schon Zeitung gelesen hätte, aber mir war nicht klar, worauf er hinauswollte, er wollte es mir auch nicht sagen. Im Ersten holte ich mir erst mal meine erste Tasse Kaffee, um gut in eine Schicht zu starten, ist selbige Pflicht bei mir, und begab mich in mein Büro. Kaum saß ich, flog die Tür auf und der Chief trat ein. Er war ein klein gewachsener Mann mittleren Alters und nur zwei Kopf größer als der Tisch, aber er hatte den Laden im Griff. Mit hochrotem Kopf und bebendem Schnauzbart knallte er mir die Morgenausgabe der Zeitung auf den Tisch und brüllte außer sich vor Wut. Ich kannte den Chief gut und wusste, dass man seine Anfälle besser nicht unterbrach. Eine Viertelstunde schrie er herum über unerhörte Verfahrensweisen, unzumutbare Aktionen, ja, sogar eine offizielle Pressekonferenz, die ich ohne sein Wissen arrangiert hätte. Es gibt im Revier zwei Dinge, die katastrophal sind, erstens, der Kaffee ist leer und zweitens, der Chief ist sauer. In beiden Fällen sollte man sich bedeckt halten. Zum Glück war es für mich das kleinere Übel. Alles, was er sagte, hörte ich mir in Ruhe an und antwortete immer, wenn er eine Antwort erwartete, mit einem Ja, Chief, Nein, Chief oder einem einfachen Nicken. Nachdem der Chief aufgehört hatte zu brüllen. musterte er mich, er war immer noch puterrot angelaufen und klappte die Daily Post auf. Auf der Titelseite prangte eine bedrohlich klingende Schlagzeile: Das Monster von Pittsburgh Ein Wahnsinniger mordet – Polizei ist ratlos Allein diese beiden Zeilen sorgten bei mir schon für Kopfweh. Als ob das nicht schlimm genug wäre, ging die Tür auf und Jack trat ein. „Chief, Peter, unten steht ein Haufen Presseleute, sie wollen wissen, warum sie keine Informationen bekommen, die Daily Post aber schon. Sie bestehen darauf,
14 informiert zu werden und den leitenden Ermittler zu sprechen. Was soll ich ihnen sagen?“ Bevor der Chief antworten konnte, erhob ich mich und sah ihn an. „Chief, ich werde mit ihnen reden und das Ganze regeln. Ich brauch aber Hilfe …“ Er ließ mich nicht ausreden und gab mir zu verstehen, dass er Ergebnisse wollte, und zwar bald. Wenn ich Hilfe brauchte, sollte ich nehmen, wen ich wollte, aber in Dreiteufelsnamen Ergebnisse liefern. Wütend rauschte er aus meinem Büro und ließ mich und Jack einfach stehen. „Jack, du wirst jetzt deinen ersten Mordfall haben, in dem du ermitteln kannst, fühlst du dich dem Druck gewachsen?“ Er antwortete mit einem Nicken und schien nervös. „Jack, ich weiß, du machst das schon. Geh zu den Presseheinis und sag ihnen, die Daily Post hat nichts von uns bekommen und jagt einem Phantom hinterher, eine Presseerklärung folgt heute Nachmittag, damit haben die erst mal was und kriegen was für ihre Abendausgabe. Danach fährst du zum Hotel und holst den jungen Pagen, ich geh und sorge erst mal dafür, dass der Kerl, der den Mist hier geschrieben hat, aufs Revier kommt.“ Ohne ein Wort zu sagen, verließ Jack mein Büro. Er tat mir leid, er wollte ja zum Morddezernat, aber seinen Einstand bei uns hatte ich mir anders vorgestellt. Ich schloss meine Bürotür und setzte mich an meinen Schreibtisch. Ein wenig angesäuert rief ich die Daily Post an. Kooperativ war die Dame am Telefon nicht, weder wollte sie mir sagen, wer den Artikel geschrieben hatte, noch mir den Chefredakteur geben oder mir sonst auf irgendeine Art behilflich sein. Ich rief also bei den Kollegen an und ließ mir die Berichte der Polizisten bringen, die als Erste vor Ort gewesen waren. Neues stand nicht drin, aber dafür die Namen der drei, die den Zeugen Sam Nickelson zuerst beharkt hatten. Ich ließ die drei zu mir schicken und wartete in Ruhe ab. Nach einer gefühlten Ewigkeit klopfte es an meiner Tür und drei junge Polizisten traten herein. Ich sah sie mir genau an. Eine typische Cliquenformation in meinen Augen. Ein großer, aalglatt wirkender Kerl und zwei etwas kleinere Kameraden. Einer
15 der drei hatte rotbraunes Haar und einen hellroten Schnauzer, seine Augen standen eng beieinander und er wirkte wie ein Hund. Aggressiv, zielstrebig und verbissen. Der Dritte im Bunde war etwas rundlicher als seine beiden Kollegen. Er machte auf mich den Eindruck der guten Seele des Dreiergespanns. Nachdem ich sie mir genauer angesehen hatte, bemerkte ich, dass sie nervös waren. Offenbar erwarteten sie Ärger, also erhob ich mich und schloss erst einmal die Tür. Junge Leute von heute lassen ja immer alles offen, eine in meinen Augen fürchterliche Unsitte. „Entspannt euch, ihr seid hier, weil ich eure Hilfe gut gebrauchen kann. Ihr habt zwar einen Fehler gemacht, aber der Schreck, einen Vorgesetzten angemault zu haben, sollte euch eigentlich reichen. Wenn ihr eure Arbeit nun besser macht, dann soll es mir recht sein und ich werde nichts melden, wenn ihr euch aber wieder im Diensteifer verrennt ohne verdammt guten Grund, sorge ich persönlich dafür, dass ihr die nächsten Jahre auf der Kreuzung den Verkehr regelt und alten Damen über die Straße helfen müsst. Hab ich mich klar ausgedrückt?“ Die drei schluckten und nickten. „Gut, dass wir uns verstehen, wenn jemand fragt, warum ihr irgendwo rumrennt, schickt die ruhig zu mir. Nun zu euren Aufgaben: Du, Junge“, ich deutete auf den kräftiger gebauten der drei, „fährst ins Krankenhaus. Dort wurde gestern Sam Nickelson eingeliefert. Er ist unser einziger Zeuge bisher. Hol ihn ab und bring ihn her. Ihr andern beiden fahrt zur Daily Post. Befragt sie zu diesem hirnrissigen Artikel aus der Morgenausgabe. Telefonisch hatten die kein großes Bedürfnis, uns bei den Ermittlungen zu unterstützen. Ich mag es nicht, wenn man mich bei meiner Arbeit behindert. Fahrt hin, macht das der Tante vom Telefon klar und auch dem Chefredakteur. Bei der nächsten derartigen Aktion komm ich sonst persönlich mit einem richterlichen Beschluss und sperr denen für die Dauer der Ermittlungen den Laden zu. Ihr wisst, wer was zu tun hat, also los jetzt.“ Ich machte die Tür auf und bedeutete den dreien, sich an die Arbeit zu machen. Etwas genervt las ich mir dann den Zeitungsartikel durch. Das Titelbild war eine Fratze, die aussah wie die von einem Werwolf, darüber der bereits bekannte
16 Aufmacher. Die Bildunterschrift war kurz gehalten. Phantombild, bei Sichtung bitte die Daily Post benachrichtigen. Der Artikel selber war eine Mischung aus Panikmache, Anhäufungen von diversen Gerüchten und Vergleichen mit anderen Monstern wie dem Yeti oder dem Werwolf. Ihnen war egal, was, Hauptsache Fell und Angst einflößend. Das Einzige, was der Artikel brachte, war, dass der Zeuge etwas mit Fell gesehen haben musste. Das Fazit der Daily Post war klar und deutlich: Die Polizei ist überfordert und man verlangt eine Bürgerwehr. Alles in allem meiner Meinung nach übertriebener, haltloser Quatsch, aber die Daily Post war Pittsburghs größte Zeitung, die Leute schenkten ihr Aufmerksamkeit, egal, wie groß der Mist war, der geschrieben wurde. Man konnte sie fast mit der Sun in Großbritannien gleichstellen. Noch hob sie sich trotz ihrer gelegentlichen schlechten Berichte positiv von den anderen ab, aber wenn es so weiterging, fehlte nicht mehr viel und sie wären auf dem gleichen Niveau. Naserümpfend stapfte ich los und ging mir einen Kaffee holen. Nachdem in der Kaffeeküche das Thema Nummer eins der Zeitungsreport war, zog ich mich entnervt in mein Büro zurück und trank in aller Ruhe meinen Kaffee, als mein Telefon klingelte. Die Spurensicherung gab mir den vorläufigen Bericht über den Tatort und die nähere Umgebung durch. Interessante Details ließ ich jedoch nicht auflisten für den Fal, dass jemand irgendwie lauschte. Ich ging also zu meinem Auto und fuhr los. Weil die Spurensicherung viele technische Spielereien und Platz benötigte, hatte sie etwas außerhalb gelegen ein eigenes Gebäude. Es war damals im Zuge der Modernisierung der Polizei extra gebaut worden und verfügte über eigene Werkstätten und Labors und alles andere, was man irgendwie für Analysen gebrauchen konnte. Als ich ankam, betrat ich das unscheinbar wirkende Gebäude durch eine Glasschleuse. Innen waren alle Räume konstant auf 21 Grad temperiert, dennoch fror ich in meinem Hemd und Trenchcoat. Der Regen hatte wenigstens nachgelassen auf der Fahrt hierher und somit war ich nicht allzu durchnässt, als ich ankam. Dieses Gebäude war eines der wichtigsten der Polizei, hell und freundlich. Ich nannte der Dame am Empfang den Grund für meinen Besuch und das
17 Aktenzeichen. Sie wies mich an, den zweiten Stock aufzusuchen, letztes Labor rechte Seite. Der Chef der Spurensicherer meines Tatorts würde mich dort erwarten. Ich betrat den Aufzug, sofort fiel mir der Geruch nach Desinfektionsmitteln auf, der in der Luft lag und der in jeder besseren Arztpraxis zu riechen war. Sogar die Personenaufzüge waren hell gehalten, aber derart groß, dass man, wenn man alleine mit ihnen fuhr, sofort das Gefühl hatte, hier fehl am Platz zu sein. Im zweiten Stock fand ich eine Reihe verschiedener Labors vor. Alles war durch Glas voneinander getrennt, aber dennoch irgendwie miteinander verbunden. Trotz der relativen Enge hatte man hier ein Gefühl von Weiträumigkeit. Ich ging den gläsernen Flur hinunter, der links und rechts von Geräten gesäumt war, mit denen ein Normalsterblicher wohl nichts hätte anfangen können. Mein einziger Trost war, zu sehen, dass Steuergelder sich nicht gänzlich in Luft auflösen konnten. Kurz nach diesem tröstenden Gedanken betrat ich das letzte Labor zu meiner Rechten. Auf dem Tisch fand ich den Bericht vor samt Notiz. Selbige besagte nichts Brauchbares, außer dass derjenige, der den Bericht hier hinterlassen hatte, es vorzog, gerade jetzt Mittag zu machen. Um halb drei, was für eine komische Zeit … Ich schüttelte den Kopf darüber und begann, den Bericht zu lesen. Die am Tatort gefundenen Spuren lassen auf ein Gewaltverbrechen besonderer Schwere schließen. Die Spurensicherung schätzt die Menge der gefundenen roten Flüssigkeit auf Kohlenstoffbasis auf knapp drei Liter. Die Flüssigkeit wurde eindeutig als Blut identifiziert, menschliches Blut. Der vorgenommene Abgleich ergab, dass es das Blut von unserem vermissten Herrn Sturz ist. Aufgrund des hohen Blutverlustes muss davon ausgegangen werden, dass das Opfer nicht mehr lebt. Die Zeichnung des Blutes an den Wänden der Gasse sind wirklich Spritzer von ungeheurem Ausmaß, ein künstlicher Auftrag in dieser Form ist nicht möglich. Es wurden diverse Gewebespuren des Opfers gesichert, ein paar Haare, mehr aber nicht. Weitere vorgefundene Spuren waren künstliche Haare, die Vermutung eines Toupets liegt nahe. Wolfsfell, frisch und natürlichen Ursprungs. Diverse Speisereste und unzählige Spuren von anderen Menschen, die aber nachweislich älter waren. Auch hat man
18 eine beachtliche Anzahl von Fingerabdrücken an der Mülltonne gefunden. Die meisten stammen von dem Opfer, das wohl versucht hat, auf oder in die Tonne zu kommen, warum, ist unbekannt. Des weiteren fand man den Abdruck eines Junkies. Fred Malone, mehrfach auffällig wegen kleinen Ladendiebstahls und des Konsums von Drogen. Ich notierte mir die Daten, hinterließ eine Notiz und machte mich auf den Weg zurück ins Präsidium. Inzwischen sollten die Leute ja bereits anwesend sein und auf mich warten. Ich verließ den Komplex auf demselben Weg, auf dem ich gekommen war, meldete mich am Empfang ab und setzte mich in mein Auto. Es regnete gerade nicht, was mir recht war, also gab ich auf der Rückfahrt mit Freuden etwas mehr Gas.

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