Totgetrollt – Kapitel 8

Die restliche Fahrt über sah ich aus dem Fenster und fragte mich, wie ich mich nur so hatte täuschen können. Der Page war doch nett gewesen, aber jetzt sein Kostüm bei den Leichen, eine Augenzeugenaussage und der Fakt, dass das Kostüm maßgeschneidert war, das half nicht wirklich dabei, klarer zu sehen. Irgendetwas hatte ich übersehen, und so nahm ich mir vor, über alles noch einmal im Büro bei einer Tasse Kaffee nachzudenken. Hmm, Kaffee, kam mir in den Sinn, genau darauf hatte ich jetzt Lust. Ein guter Kaffee und eine Zigarette, das wäre jetzt was, aber das musste noch warten. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir vor dem Wohnhaus an, wo der Dealer gewohnt hatte. Kurz wurde das Vorgehen besprochen und die Kollegen gefragt. Neues gab es nicht zu erfahren. Nichts schien sich zu regen in der Wohnung, aber man brauchte Gewissheit. Eine Einheit blieb vor dem Haus, ein ziviler Streifenwagen hinter dem Haus. Mit der einen SEK-Einheit gingen wir ins Treppenhaus und bezogen vor der Tür Stellung. Ich hämmerte an die Tür.
„Aufmachen, Polizei!“
Ich versuchte es zwei, drei Minuten, ehe wir uns entschlossen, die Tür einzutreten. Wir gingen in Stellung und das SEK trat zu. Das Schloss gab unter knirschendem Protest klein bei und die Tür flog mit lautem Krachen auf.
„Polizei!“, riefen die Beamten, als sie hereinstürmten und sich umsahen. Die Wohnung war noch genauso mies und dreckig wie zuvor. Es war niemand aufgetaucht, wie ich erwartet hatte. Wir sahen uns um. Jack bemerkte als Erster, dass etwas hinter der Eingangstür klebte. Wir schlossen die Tür und sahen einen blutigen Schriftzug an der Türinnenseite, mit einem Messer das darin steckte.
„Du bist der nächste.“ stand dort in großen Buchstaben.
Frustriert zogen wir ab und überließen der Spurensicherung das Feld. Das SEK ließ ein Team zurück, um auf die Spurensicherung zu warten. Das andere fuhr wieder ins Präsidium, Jack und ich hatten keine Lust darauf, dem Chief über den Weg zu laufen, also steuerten wir das Krankenhaus an, in dem Paul lag.
Die Schwester am Empfang war freundlich und zuvorkommend. Sie verriet uns, wo wir Paul finden konnten, und beschrieb uns den Weg zu seinem Zimmer. Dort angekommen klopften wir und traten ein. Paul lag im Bett und wirkte zerknirscht, aber wieder in Ordnung, wenn man mal von den hässlichen Kratzspuren absah und der Beule am Kopf.
Wir hörten uns noch einmal in aller Ruhe an, wie alles abgelaufen war, und fragten ihn, ob er sonst noch etwas brauchte. Sein einziger Kommentar daraufhin war nur:“Bringt jemand meiner Frau schonend bei, dass die Verletzungen nicht ernst sind und nicht von einer anderen Frau stammen?“
Wir mussten alle drei herzhaft lachen, irgendwie verliert man einen gewissen Sinn für Humor nicht, egal wie komisch die Dinge ablaufen. Jack und ich steuerten einen Automaten im Eingangsbereich der Krankenhauses an und zogen uns jeweils einen Kaffee.
„Was nun Jack? Alles deutet mehr und mehr auf Edwards hin, sein Kostüm im Tatfahrzeug. Der Portier hat anscheinend immer eine gute Ausrede parat, und die Beweise, naja, viel haben wir ja nicht.“
Jack sah mich nachdenklich an und kratzte sich am Kopf. „Naja, wir haben einen Van mit zwei Leichen, ein maßgeschneidertes Kostüm, das gut passt, aber das muss nicht heißen, dass es Edwards Kostüm ist. Ich bin mir sicher, wenn man ein wenig recherchiert, findet man bestimmt eine Anleitung zum Selberbauen. Wir brauchen auf jedenfall Edwards Kostüm, und das müssen wir genauestens untersuchen. Irgendwo muss daran ja Blut sein.“
Ich unterbrach ihn und warf ein: „Falls er sein Kostüm noch hat und nicht inzwischen wir ….“
„Es ist zu früh, darüber zu spekulieren, Pete, aber irgendwo müssen wir ansetzen. Also warum nicht gleich an dem Punkt.“
Jack hielt inne als sein Telefon klingelte. Er sah auf seinDisplay und verdrehte die Augen. „Der Chief, ich frag mich warum der bei mir anruft.“
Mir fiel ein, dass ich mein Telefon noch gar nicht wieder eingeschaltet hatte, und seufzte. Jack hob ab und ich hörte den Lautsprecher scheppern „ Wo ist Pete? Wo steckt dieser Scheißkerl Harrison, der meine Beamten verliert, SEK’s als Suchtrupps zweckentfremdet und den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als die Spurensicherung zu belegen?“
Jack hielt das Telefon auf Brusthöhe und sah mich einen Augenblick fragend an. Als ich nach dem Telefon greifen wollte, zog er es weg und antwortete dem Chief. „Austreten, Chief. Soll ich Ihm was ausrichten?“
Ich sah Jack bewundernd an und fragte mich, wo er so abgebrüht lügen gelernt hatte.
„Ach so … hm, okay, aber das wird ihm nicht gefallen … Ach so, Druck von oben? … Ja, ich verstehe … mhm ja … nein, dem geht’s gut, im Übrigen bat er darum, dass Sie doch bitte seiner Frau Bescheid geben, wo er ist und wie es ihm geht … Wie zu unangenehm? Ach so, Sie haben keine Zeit, das klang … Nein, nein, das wollt ich doch gar nicht unterstellen, aber jetzt, wo Sie es sagen …“
Ich beobachtete Jack eine Weile, trank meinen Kaffee aus und deutete ihm an, mir sein Telefon zu geben.
„Ja, Chief, ist mir schon klar … achso, wir haben unsere Befugnisse überschritten? … Verstehe, gut, beim nächsten Mal machen wir es nicht mehr, ich kann mir vorstellen … nein … doch ich mag meinen neuen Job … ich weiß, auf Probe, aber was ich sagen wollte, sind Sie nicht froh darüber, dass es keine Negativ-Schlagzeile gibt? … Welche? Naja, stellen Sie sich vor, morgen stünde in der Zeitung: Chief vergeigt Unterstützung – Polizist tot. … Nein? Ah, ich sehe, Sie verstehen mich. Oh, da kommt Jack, aha, okay ich wird’s ihm ausrichten.“
Jack legte auf und grinste mich an. „Gruß vom Chief, er ist beeindruckt von deinem schnellen Schalten und Handeln, im Übrigen übernimmt das Department die Reperatur deines Wagens in voller Höhe.“
Ich sah ihn nur an und schüttelte grinsend den Kopf. „Jack, langsam machst du mir Angst, du bist richtig unheimlich. Warum hast du den Chief angelogen meinetwegen?“
Er zuckte mit den Schultern und zwinkerte mir zu. „Ach, weißt du, ich war dir glaub ich den Gefallen einfach nur schuldig, weil du mich von der langweiligen Pfortenarbeit weggeholt hast. Lass uns jetzt mal zu Edwards gehen, ich glaube, der Junge ist ein wenig in Erklärungsnot.“
Er warf seinen leeren Kaffeebecher weg und klopfte mir auf die Schulter, irgendwie hatte ich das Gefühl, der Junge machte sich besser als erwartet. Ich schüttelte den Kopf und ging wortlos neben ihm zum Wagen.
„Lass uns für heute lieber mal Feierabend machen, sonst kriegt der Chief noch einen Anfall wegen deiner Überstunden.“
Jack schüttelte nur den Kopf und meinte „Geschenkt, jetzt will ich endlich wissen, was hier Sache ist, abgesehen davon morgen ist die Con rum und alle werden morgen abend wieder über die Welt verteilt sein. Uns rennt die Zeit also auch langsam davon.“
Jack hatte recht, die Con war morgen zu Ende, und damit gingen uns mögliche Täter unter Umständen stiften.
In meinem Kopf ging ich nochmal alle Fakten durch, aber es ergab kein Bild. Es dauerte ein wenig, bis wir wieder am Hotel ankamen, diesmal war die Fahrt jedoch wesentlich entspannter als zuvor die zum Hafen. Zur Abwechslung hielt Jack auch mal an zwei roten Ampeln. Als wir am Hotel ankamen und die Eingangshalle betraten, wurde es an der Rezeption schlagartig still. Der Portier verdrehte die Augen und kam auf uns zu.
„Möchten die Herren vielleicht gleich ein Zimmer buchen?“, fragte er sichtlich angefressen und stand vor mir und Jack.
„Wir würden uns gerne nochmal mit Edwards unterhalten“, antwortete ich, während Jack das Geschehen um uns herum fasziniert beobachtete.
„Edwards? Der kleine Taugenichts? Der arbeitet gerade in der Lounge, ich lasse ihn sofort holen.“
Er drehte sich um und wollte kopfschüttelnd losstiefeln, aber ehe er sich auch nur einen Schritt entfernen konnte, hielt ich ihn an der Schulter fest.
„Das wird nicht nötig sein, wir werden ihn selber aufsuchen.“
Der Portier sah mich verächtlich an und schnaubte nur ein abfälliges „Wenn Sie es so wünschen.“ und verließ uns.
Die Lounge war schön und es war ruhig, Edwards war tatsächlich in der Lounge und räumte leere Gläser ab und machte die Tische sauber. Wir setzten uns an einen Tisch und winkten ihn zu uns. Er sah sich zunächst um und gab dem Barmann Bescheid, ehe er zu uns kam.
„Setz dich Edwards, ich glaube wir müssen reden.“
Edwards setzte sich und legte seine Hände in den Schoß, allein, wie er schon dasaß. Die Schultern nach vorn, der Rücken krumm, mit hängendem Kopf, seine Hände im Schoß anstarrend.
„Edwards, ich weiß, das ist nicht leicht, aber wo warst du heute Nachmittag? Wo ist dein Kostüm? Und falls du irgendwas weißt, dann wäre jetzt die Gelegenheit, das zu sagen.“
Edwards sah auf und ließ seinen Blick nervös zwischen mir und Jack hin und herwandern.
„Ich war im Fischmarkt im Hafen, neue Hummer für das Luxusmenü kaufen, warum fragen Sie? Mein Kostüm? Ich kann Ihnen mein Kostüm nicht geben, nicht hier und nicht jetzt, wenn der Portier das sieht … ich habs Ihnen schon einmal gesagt …“
Ich unterbrach ihn. „Alles, was ich weiß, ist, dass der Portier dich nicht sehr mag, du seine Tochter hingegen schon. Heute nachmittag wurde am Hafen ein Polizist angegriffen und niedergestreckt.“
Edwards unterbrach mich sofort. „Geht’s ihm gut? Ich mein wird er es überleben?“
Sein Blick wirkte zittrig und verängstigt. Ich hielt einen Moment lang inne, ehe ich fortfuhr.
„Das hat er bereits, er hat nur ein paar ziemlich hässliche Kratzer, nicht tief, aber breit. Du hast heute von dem, was am Hafen los war, nichts mitbekommen? Obwohl du dort warst? Mir fällt es sehr schwer, das zu glauben … Junge, irgendwas stinkt hier, und das ist nicht der Fischmarkt. Wo ist das Kostüm?“
„Fursuit“, warf Edwards ein.
„Fursuit dann eben“, antwortete ich entnervt. Jack tippte mich mit der Schuhspitze an. Als ich ihn fragen wollte, was los sei, gab er mir mit der Hand ein Zeichen. Ich drehte mich in die Richtung, in die Jack deutete, und sah den Portier in der Tür stehen, wie er uns beobachtete. Als er sah, dass ich ihn ansah, drehte er sich um, verschwand hinter dem Tresen der Bar und gab sich geschäftig.
Ich sah Edwards an, der inzwischen blass geworden war.
„Edwards wo ist dein Fursuit?“, fragte ich ihn erneut, doch er schwieg. „Edward, wo ist dein scheiß Suit?“ Ich hatte keine Lust mehr auf das Hin und Her, aber Edwards schüttelte den Kopf. Jack schüttelte ebenfalls den Kopf und sah mich an. Irgendwas war ihm hier nicht ganz geheuer. Ich rieb mir den Kopf und stand auf, um mir an der Bar ein Glas Wasser zu holen. Als ich am Tresen stand, kam der Portier und sah mich fragend an, ehe er etwas sagte.
„Nehmen Sie jetzt einfach mal pro forma jeden, der hier rumrennt, einmal fest, oder hat ihr Raten ein System?“ Ich sah ihn verärgert an, legte zwei Dollar für ein Glas Wasser auf den Tresen und forderte ihn auf, mir nur mein Wasser zu geben, anstatt zu versuchen, mich bei meiner Arbeit zu behindern. Er grinste süffisant und meinte, nachdem ich mich umgedreht hatte, nur irgendwas von „Was ist das Raten schon für ne Arbeit, mehr is es ja eh nicht“, was ich aber einfach ignorierte. Ich setzte mich wieder zu Jack und trank mein Wasser aus.
„Jack, du nimmst Edwards mit, er soll dir zeigen, wo sein Suit ist, ich kümmer mich um unseren Portier, sollte er euch nachgehen.“
Jack nickte und erhob sich, Edwards unsanft im Schlepptau. Ich beobachtete, wie die beiden in Richtung Aufzüge gingen und achtete genau darauf, was unser Freund, der Portier, tat. Zunächst blieb er hinter dem Tresen stehen, aber sobald Jack und Edwards durch die Tür gingen, stürmte er den beiden hinterher. Ich stand auf und ging hinter ihm her, er verfolgte die beiden mehr als auffällig. Ich rief in der Zentrale an und fragte, ob eine Streife in der Nähe verfügbar sei. Glücklicherweise war ein Dreier-Trupp auf Patrouille in Hotelnähe, damit die Besucher sich sicher fühlten. Ich ließ sie zum Hoteleingang bestellen und beobachtete den Portier weiter. Der Aufzug hielt im ersten Stock und der Portier stürmte die Treppe hinauf. Ich folgte ihm vorsichtig und beobachtete, wie er Jack und Edwards folgte. Die beiden verschwanden in einer Wäschekammer und blieben darin. Der Portier trat neugierig auf die Tür zu und stürmte durch selbige hindurch, lautstark AHA ausstoßend. Drinnen standen Edward und Jack, ohne sich zu rühren.
„SIE haben hier drin gar nichts verloren, RAUS…“, brüllte der Portier. Jack schüttelte nur den Kopf und ich klopfte dem Portier von hinten auf die Schulter.
„Sie sind vorübergehend festgenommen, wegen Behinderung unserer Ermittlungen. Ich habe das Recht, sie 72 Stunden lang in Gewahrsam zu halten, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind.“
Er wollte protestieren, aber ich gab ihm mit einer eindeutigen Geste zu verstehen, dass er sich seinen Protest als Knastklopapier aufheben konnte. Ich sah ihn nüchtern an und brachte den Portier zusammen mit Jack und Edwards zu der wartenden Streife. Unglücklicherweise oder glücklicherweise, je nachdem, wie man es sieht, war es unser ungestümes Dreiergespann, und so entschloss ich mich, dem Portier ein wenig Angst zu machen.
„Bringt ihn aufs Präsidium, Jungs, aber geht nicht zu sanft mit ihm um, er ist zäh.“
Die drei erkannten mich und wussten genau, was ich meinte, der arme Portier sah sich nur um und knurrte wütend.
Kaum war der Portier abtransportiert, wendete ich mich wieder an Edwards.
„Wo ist dein Suit jetzt?“
Er seufzte leise und wiederholte, was er Jack bereits erzählt hatte. Damit der Portier seinen Suit nicht findet, hatte er diesen fein säuberlich zusammengelegt in einem Wäscheschrank des Hotels verstaut, für die Zeit der Convention. Jack hatte geahnt, dass der Portier uns nochmal Ärger machen würde, und hatte Edward gesagt, er solle mit dem Herausholen des Suits warten.
Wir gingen wieder hinauf und sahen uns Edwards Suit an, an den Handschuhen klebte Blut. Ich seufzte und bedeutete Jack, Edwards mitzunehmen.
Wir lieferten ihn im Präsidium ab und fuhren heim, den Rest wollten wir tags drauf machen.