Totgetrollt – Kapitel 6

Erst am nächsten Morgen wachte ich auf, als jemand an meine Tür hämmerte. Brummend und desorientiert erhob ich mich und hörte Jacks stimme. Zerzaust und knittrig öffnete ich die Tür und wurde von Jack begrüßt.
„Oh Mann, siehst du aus, Pete.“
„Hrmpf, heut morgen wohl nicht in den spiegel geschaut, Jack hm? Na, komm rein, ich mach erstmal ’n Kaffee.“
Ich drehte mich um und stapfte in Richtung Küche. Er lief mir nach wie ein eitler Pfau und grinste, trotz der häßlichen Kratzer in seinem Gesicht.
„Pete, ich hab was rausgefunden, es war kurz bevor ein Van in der Garage …“
Ich unterbrach ihn und nickte.
„Ein schwarzer Van von der Wäscherei, ich weiß.“
Er grinste und sprach weiter.
„Nein, der sah nur aus wie von der Wäscherei. Während du bis um 12 geschlafen hast, hab ich den Van überprüft. Er gehört zwar der Wäscherei, die das Hotel beliefert, aber er wurde letzte Woche kurz vor der Ankunft der ersten Gäste gestohlen. Irena hat‘s mir erzählt, weil dieser Van am Tag des Verschwindens von sturz einen Unfall verursacht hatte. Er hat den Wagen von Irenas Vater gestreift und die Wäscherei als Ansprechpartner genannt.“
Er grinste triumphierend und ließ sich eine Tasse Kaffee reichen.
„Und überhaupt, wo warst du heute Nacht, plötzlich warst du weg, und überhaupt, was machst du schon so früh hier?“
Ich kratzte mich am Kopf und stopfte nebenher mein Hemd in die Hose.
„Peter, es ist ein Uhr, du warst zwei Stunden überfällig. Ich hab die Nacht im Dienst verbracht.“ Er zwinkerte mir zu und ich nickte nur ab.
„Ah ja … lass uns losfahren“, ich kippte meine Tasse Kaffee in mich hinein und klaubte meine Jacke auf zusammen mit dem Brief.
„Schau, der lag heut Nacht vor meiner Tür.“
Jack las ihn auf dem Weg zum Auto.
„Naja, bisher gabs nichts Neues bei den Beobachtern. Keine Spur von jemand der die Wohnung betreten hat , und der Reporter ward nach Betreten seiner Wohnung nicht mehr gesehen.“
„Die Kollegen sollen den Reporter aufsuchen und fragen, wo er gestern um 9:30 abends war. Der hat irgendwas damit zu tun, ich bin mir sicher.“
Wir fuhren aufs Revier und stapften in mein Büro. Die Kollegen witzelten und Jack konterte mit einer rausgestreckten Zunge und einem Zwinkern. In meinem Büro setzten wir uns und Jack knurrte mit verzerrtem Gesicht auf, als er sich an die Holzlehne des Stuhles lehnte. Ich sah ihn an und musste grinsen. Leicht spöttisch, mit einem humorvollen Ton, sprach ich ihn darauf an.
„Ach Jack, sag nur, dir war der Fuchsbau zu eng, oder war sie vielleicht trotz ihres weichen Fells ein wenig kratziger als erwartet?“
„Peter, Peter, du weißt genau, ich bin anständig …“
„Ja, im Dienst“, präzisierte ich.
„Du weißt was ich meine, mein Rücken tut von der Landung gestern Abend weh. Wenn eine Füchsin dran schuld wär, wär es wohl weniger schmerzhaft.“
„Ach, Jack, war da nun was oder nicht? Mir kannst du‘s doch sagen.“
Doch er schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.
„Wer weiß das schon, Pete, wer weiß das schon …“
Er grinste und sah mich an.
„Ist der Van in die Fahndung gegeben worden?“
Jack nickte. Ich steckte mir eine an, als das Telefon klingelte. Ich ging ran. Einen Moment war es still, dann war ein Knurren zu hören.
„Zu spät – tut tut tut.“
Aufgelegt. Ich sah Jack an, der nur nickte. Wir riefen die Kollegen an, die den Reporter überwachen sollten, aber die meldeten sich nicht mehr. Instinktiv alarmierten wir die anderen Kollegen und stürmten los. Direkt vor der Tür stand der Chief und wollte uns aufhalten, doch ich ignorierte ihn und rief nur „Nicht jetzt, wir habens eilig!“ Wir stürzten die Treppe runter und zum Präsidium hinaus. Glücklicherweise hatte Jack vor der Tür geparkt. Mit quietschenden Reifen sprintete sein kleiner roter Seat Ibiza los. Ich saß auf dem Beifahrersitz und meine Plomben vibrierten unangenehm, als der kleine Wagen jaulend um die Kurven gejagt wurde. Auf halber Strecke gesellte sich ein Streifenwagen zu uns und wir brausten den restlichen Weg zur Wohnung des Reporters in Rekordzeit.
Vor Ort angekommen fanden wir zwei im Wagen schlafende Kollegen vor. Nachdem klar zu sehen war, dass sie noch lebten, rannten die anderen zum Haus des Reporters und durch die Vordertür hinein. Es war niemand zu finden, Kameras hingen rum. Jack und ich sahen uns in der Wohnung näher um, während die bewusstlosen Kollegen von einem Arzt ins Krankenhaus gebracht wurden. Ich stand im Wohnzimmer, auf einem Tisch lag Oost. Neugierig stöberte ich den Stapel durch in der Hoffnung auf eine Spur oder einen Hinweis auf Nickelsons Verbleib zu finden. Es war viel Reklame dabei, ein paar Rechnungen, nichts von Belang. Ich legte sie zurück und entdeckte dabei einen Zettel unter der Couch. Vorsichtig zog ich ihn hervor und las ihn. „Hör auf über mich und das Geschehene zu reden, sonst hole ich dich wie die beiden anderen.“ Als Unterschrift war ein Pfotenabdruck daruntergesetzt. Ich wollte gerade Jack rufen, als ich ein Klicken hinter mir hörte. Langsam hob ich die Hände und drehte mich um, fest davon überzeugt, dass dieser Tag mein letzter war. Doch da war niemand, zunächst dachte ich, ich hätte mich geirrt, aber das Klicken wiederholte sich ein Teil des Bücherregals an der Wand schwenkte langsam auf. Ich riss meine Waffe aus dem Holster und vernahm ein leises Wimmern. Dann wurde die Tür vollständig geöffnet und ein vollkommen aufgelöster Nickelson in blutverschmierter Kleidung stand vor mir. Auf seinem Arm lag ein übel zugerichteter Hundekopf und sah mich mit leeren Augen an. Jack war inzwischen aus dem Keller gekommen und neben mir aufgetaucht.
„Wie ich sehe, hast du bereits den Rest von dem gefunden, was im Keller liegt.“
Trotz des Humors, der in diesem Satz mitschwang, bemühte sich Jack, kühl und professionell zu bleiben. Ich steckte meine Waffe weg und ging auf Nickelson zu, dieser brach direkt vor mir zusammen. Nun sah auch Jack, wie übel zugerichtet der Kopf war, den Nickelson im Arm hielt. Ich fluchte innerlich und rief einen weiteren Arzt. Dann sah ich zu Jack, der abgebrüht und abwesend wirkte, doch beim Anblick des zusammengesackten Reporters entwich ihm ein unprofessionelles Fuck, für das ich ihm einen bösen Blick zuwarf. Inzwischen kamen die Kollegen aus dem Streifenwagen, der mit uns zusammen eingetroffen war, mit einem ersten Bericht herauf. Die Beamten, die Wache schieben sollten, waren mit einem Schlafgas ausgeknockt worden, das von einem stark klappernden Van ausgeströmt war, der an ihrem offenem Fenster vorbeigefahren war. Wieder ein Van und keine brauchbaren Spuren. Ich war drauf und dran, wütend davonzurauschen, mit Jack im Schlepptau, als mein Telefon klingelte. Der schwarze Van schlich vor der Wohnung des Dealers die Straße rauf und runter. Er hatte gestohlene Kennzeichen, andere als uns bekannt, aber er konnte das gesuchte Fahrzeug sein, und darum starteten Jack und ich los, in einem ewigen Wettkampf gegen die Zeit, diesmal knapper denn je. Der Dealer war schließlich unser letzter Zeuge, wenn auch noch nicht gefunden. Der Wagen ächzte und schwankte in den Kurven bedrohlich und auch das Knirschen der Reifen in den Kurven wies deutlich und lautstark darauf hin, dass Jack am absoluten Limit fuhr. Mir blieb nichts anderes übrig als mich festzuhalten und zu hoffen dass die Fahrt bald vorbei war. Ich bedauerte es, dass mein Wagen in der KTU stand und repariert werden musste, er wäre wesentlich bequemer gesen als Jacks rote Rennschüssel ohne Blaulicht.
Nach einer gefühlten halben Ewigkeit und drei bei Rot überfahrenen Ampeln bogen wir schließlich in die Straße ein, in der der Dealer wohnte und die Kollegen warteten. Als wir ankamen, war der Van nicht mehr zu sehen, und auch der Wagen der Kollegen nicht mehr. Dafür stand einer der beiden, die die Wohnung überwachen sollten, am Straßenrand. In kurzen Worten erklärte er was vorgefallen war. Der Van war die Straße auf und ab gefahren, hatte den beiden eine Dose auf die Motorhaube geworfen und war losgebrettert. Sofort hatte der Polizist im Wagen den Motor gestartet, seinen Kollegen stehen lassen und war dem Van nachgesetzt. Das war vor zehn Minuten gewesen, seitdem waren beide Autos verschwunden. Stinksauer rief ich im Revier an und ließ mir den Chief geben.
„Ja, hören sie …“
Ich berichtete, was vorgefallen war, und wartete auf eine Antwort.
„Wie – Pech gehabt? … NEIN seh ich nicht ein, doch ja genau … mhm … Nein nein nein, wir haben einen Kollegen, der verschwunden ist … nein, ok, ja, ich warte.“
Der Chief prüfte die GPS-Daten des fehlenden Autos, während ich auf seine Antwort wartete.
„Was soll das heißen, sie kriegen keine Daten? Nein, NEIN, das steht nicht zur Debatte … Nein, ja, ok, ich warte …“
Das GPS-Modul sendete keine Positionsdaten mehr, mir gefiel das Ganze überhaupt nicht. Wenn ein Fahrzeug verschwindet, ist das kein gutes Zeichen.
„Ja … Natürlich bin ich noch da, wo sollte ich sonst sein? Nein, ich bin vor der Wohnung des Dealers, ja … nein, der wurde noch nicht gesehen. Ja, dann schicken sie jemanden. Nein, es ist mir egal was sie denken. Nein, SIE haben mir selber gesagt, was auch immer ich brauche, kriege ich, und jetzt heißt‘s alle im Einsatz. Nein, dann holen Sie die Leute aus der Bereitschaft. JA, ich bestehe drauf. Ein Kollege wird vermisst, zwei wurden verletzt und wir haben zwei Tote, und NEIN, ich werde den Teufel tun und ruhig bleiben. … Keine Unterstützung ? Ach, lassen Sie mich in Ruhe und geben Sie mir den letzten bekannten Ort durch … Hafen? Ja, gut, das reicht mir. Nein, ich regel das … nein … Ja, dann hängen Sie mir halt ein Disziplinarverfahren an, es ist mir egal.“
Wütend legte ich auf und sah hilflos in fragende Gesichter.
„Der Chief hilft uns nicht weiter, wir kriegen keine Unterstützung.“
Empört sahen mich beide an. Jack schüttelte den Kopf und schien fieberhaft zu überlegen. Der zurückgebliebene Kollege schnaubte verächtlich und nahm mir mein Handy ab.
„Ich darf doch mal kurz …“, sagte er und ging außer Hörweite. Gespannt beobachteten Jack und ich, wie er nervös auf und ab ging und gestikulierte. Kurz darauf kam er zurück zu uns und grinste triumphierend.
„Ablösung ist auf dem Weg, die Kollegen lassen uns nicht hängen, wir können zum Hafen fahren, die sind gleich hier. Am Hafen wird eine SEK-Einheit zu uns stoßen und beim Suchen helfen.“
Er grinste weiter und kletterte in den Seat.
„Den Rest erzähl ich unterwegs, kommt schon, da braucht jemand dringend Hilfe.“
Wir stiegen ein, und noch während wir uns anschnallten und ich mein Handy zurückbekam, bog ein schwarzer Plymouth mit quietschenden Reifen um die Ecke und stoppte abrupt neben uns. Der dritte der uns bereits wohlbekannten Polizisten saß am Steuer mit drei Kollegen im Schlepptau. Jack gab Gas und bretterte los.
„So, nun erklären Sie mir mal, wo die so schnell herkommen.“
Der Polizist auf dem Rücksitz lehnte sich zurück und grinste.
„Wir waren eine Klasse auf der Akademie und haben uns versprochen, wann immer Not herrscht, für einander da zu sein, egal, welche Konsequenzen es hat. Ein paar von uns sind zum SEK gegangen und haben dort weitergemacht. Der Leiter des SEK-Teams kennt den Freund einer Freundin, die wiederum meine Mutter kennt. Nun, den Rest können Sie sich denken. Mein Kollege hat meine Mutter angerufen und ihr gesagt, was los ist. Sie mag Paul, also hat sie sich hinters Telefon geklemmt und ihre Freundin angerufen, die hat ihren Freund angerufen, und weil der SEK-Teamleiter ihm noch was schuldet, hat er seine Leute gefragt. Da einige uns kennen, haben die zugesagt, und wenn einer aus dem Team geht, gehen alle. Und so kommt eins zum anderen. Mit etwas Glück sind die vor uns da, wenn nicht, kommen sie kurz nach uns am Hafen aaahhhh…..nn.“