Totgetrollt – Kapitel 4

Dann verfiel er in ein irres Lachen und sprang auf. Mit einer Kraft, die ich nicht erwartet hatte, stieß er mich beiseite und sprang durch die geschlossene Fensterscheibe hinaus. Ich werde seine letzten Worte nicht vergessen. Während er sprang, rief er noch: „Es wird kommen und erlösen!“
Noch ehe ich begriffen hatte, was passiert war, hörte ich einen dumpfen Schlag und eine Alarmanlage losjaulen. Erst dann wurde mir klar, dass er nicht mehr war. Der arme Kerl musste sein letztes bisschen Verstand verloren haben, wodurch auch immer. Ich stand auf, ging zum Fenster und sah hinunter. Er lag auf meinem Auto, die Gliedmaßen unnatürlich verdreht, und blutete. In dem Moment schwor ich mir, den Mistkerl oder wer auch immer dafür verantwotlich war, zu schnappen. Ausgerechnet auf meinem Auto musste er aufschlagen. Die Reparatur würde das Department ein Vermögen kosten. Wütend und frustriert rief ich die Kollegen an und einen Notarzt, für den Fall, dass er den Sturz doch überlebt haben sollte. Dann ging ich los, stürmte durch die Wohnung und ließ hinter mir die Tür ins Schloss fallen, rannte die Treppen runter, um mir das Ausmaß der Schäden anzusehen. Als ich die Hälfte der Treppen gelaufen war, hörte ich ein Jaulen, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ, und gleich darauf gespenstische Stille. Dann ein schabendes Geräusch, als ob ein Hund an der Tür kratzte. Dann war es wieder still. Ich ging weiter und hörte einen Motor, der leiser wurde. Als ich unten ankam, näherten sich bereits die Sirenen des Krankenwagens und der Kollegen. Ich ging zur Tür hinaus und sah mir mein armes Auto an. Es war über und über mit Blut beschmiert und das Dach, die Windschutzscheibe und die Motorhaube waren arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Glücklicherweise hatten die Glasdächer den Aufprall heil überstanden, nur hatte ich jetzt ein neues Problem. Malone, der Mann, der noch eben auf meinem Auto gelegen hatte, war verschwundrn. Weg, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Ich stand noch da und staunte, als die Kollegen aus dem Fahrzeug sprangen. Verwundert darüber, dass nichts zu sehen war außer Blut und Blechschaden, sahen sie mich ratlos an. Zu meiner Verwunderung waren es zwei der drei Polizisten, die ich mir am Vormittag ohne zu fragen ausgeliehen hatte. Ein flüchtiges Gespräch und ich erfuhr, dass sie hier Dienst tun mussten, um möglichst weit weg von mir zu sein, damit ich sie mir nicht wieder ausleihen konnte. Kurz danach fuhr auch Jack vor. Er kam gleichzeitig mit dem Krankenwagen an. Immer noch verärgert und verwundert darüber, dass Malone spurlos verschwunden war, betrachtete ich mit ihm den Wagen näher, während wir nun auf die Spurensicherung warteten, die Jack angerufen hatte, als er erfahren hatte, was passiert war. Ich fragte mich noch immer, wie er verschwinden konnte, ohne eine Spur auf dem Boden zu hinterlassen. Auf meiner Motorhaube waren deutliche Kratzer zu erkennen. Dort, wo eigentlich der Junkie liegen sollte, waren nur Blutstreifen zu sehen, als ob er heruntergerutscht oder gezogen worden wäre. Vor dem Auto tropfte noch Blut auf die Straße, aber das war das Ende der Spur. Nichts mehr zu sehen. Ich rätselte noch als, Jack mich am Ärmel zupfte. Er hatte neben meinem Auto im Rinnstein einen Briefumschlag gefunden, den er nun mit spitzen Fingern an einer Ecke hielt und mich kreidebleich ansah. Der Umschlag war offen, aber dennoch warteten wir auf die Spurensicherung. Die Aufschrift war etwas eigen. In blutähnlicher Farbe stand da geschrieben: An Peter H. Jack sah mich wortlos an und ich starrte nur auf den Umschlag. Zu dem Zeitpunkt fragte ich mich nur, warum er an mich adressiert und nicht einfach anonym abgegeben worden war. Ungeduldig und unschlüssig, was zu tun war, nahm ich Jack den Umschlag ab und steckte ihn in eine transparente Tüte. In der Zwischenzeit kamen die Kollegen von der Spurensicherung und verluden mein Wagen auf den Schlepper. Die beiden Polizisten, die sich in der Nähe umgesehen hatten, waren auch nicht schlauer als wir. Nirgendwo eine Spur von dem Opfer, das auf meinem Wagen aufgeschlagen war. Ich gab den Kollegen den Wohnungsschlüssel und fuhr mit Jack zusammen zur Spurensicherung. Wir waren beide neugierig darauf, was der Umschlag wohl bedeutete und was er enthielt. Wir mussten eine geschlagene Stunde auf die Freigabe warten. Gleich nachdem ich den Umschlag abgegeben hatte, rief ich die Kollegen an. Ein Zeuge war verschwunden und möglicherweise tot, ein weiterer wurde beobachtet und der letzte, auf den eine Spur verwies, schwebte möglicherweise in großer Gefahr. Ich bat darum, drei Mann abzustellen, um unseren Dealer zu finden und zu überwachen. Zähneknirschend willigte der Kollege ein und legte auf. Kurz darauf rief der Chief an und wollte wissen, was vorgefallen war. Wie üblich, wenn etwas anders verläuft, als es soll, hatte er alles andere als gute Laune. Diesmal war es aber ein kurzes Gespräch, da ich nicht in der Stimmung war, ihm zuzuhören. Ich sagte ihm zu, einen Bericht zu schreiben, und nun sollte er doch bitte dafür sorgen, dass ich bekam, was ich brauchte, ohne von Kollegen dumm angeredet zu werden. Mit diesen Worten legte ich auf und schaltete mein Telefon aus. Ich ging vor die Tür eine rauchen, ehe ich michs jedoch versah, war der Rest meiner Zigaretten leer. Ich hatte vor lauter Nervosität und Ungeduld die restlichen einfach mit aufgeraucht, eine nach der anderen, ohne es zu merken. Genervt darüber, dass meine Ersatzpackung im Auto lag, das nun die Spurensicherung in Beschlag hatte, ging ich wieder hinein. Kurz darauf bekamen wir den Umschlag. Die Aufschrift war aus Blut, wessen es war, musste erst noch festgestellt werden. Jack und ich nahmen den Inhalt heraus und waren im ersten Moment schockiert. Zum Vorschein kam ein DIN-A4-großer Pappdeckel mit einem blutigen Pfotenabdruck. Darunter stand:
Vorsicht, in was sie sich einmischen, Peter.
Mehr war nicht, nur der Abdruck und dieser Satz. Das Einzige, was man noch an Spuren gefunden hatte, waren Haare, Tier- und Kunsthaare. Ein wenig enttäuscht über die Ausbeute gingen Jack und ich zum Wagen und fuhren ins Präsidium. Wir berieten über unser weiteres Vorgehen und was das alles wohl zu bedeuten hatte. Zunächst drängte sich uns der Verdacht auf, dass jemand Ermittlungsinformationen weitergegeben hatte, aber das verwarfen wir gleich wieder, da wir davon ausgehen konnten, dass Malone am Tatort gewesen und gesehen worden war. Wir beschlossen, vorerst keine Informationen dazu mehr an die Kollegen weiterzugeben. Im Präsidium angekommen, suchten wir den Chief auf, obwohl es bereits nach acht war, saß er in seinem Büro und wälzte Berichte auf seinem Tisch. Es war deutlich zu spüren, dass er von unserem Besuch nicht allzu angetan war, aber als er erfuhr , was wir zu berichten hatten, erreichte seine Laune einen neuen Tiefpunkt. Er war es gewohnt, Drohungen gegen seine Leute zu bekommen oder wüste Schreiben, in denen sich Menschen über unsere Inkompetenz ausließen, aber dieses Mal bereitete ihm der Hinweis sichtlich Kopfzerbrechen. Er schickte uns zurück in mein Büro und wies uns an, dort zu warten. Wir gingen, ohne zu wissen, was er vorhatte, dorthin, erlaubten uns vorher jedoch einen Abstecher in die Kaffeeküche. Ohne zu wissen, warum, nahm ich zwei Tassen mit. Jack sah mich fragend an und ich zuckte mit den Schultern.
„Schätze mal, ich werd die zweite Tasse schon brauchen, auch wenn man mir immer sagt, ich trinke zu viel von dem Zeug.“
Als wir im Büro saßen und warteten, bemerkte ich Jacks sorgenvollen Blick. „Mach dir keine Gedanken, Jack, Drohungen bekommt man in unserem Beruf viele, kennst du eine, kennst du alle.“
Er brummte eine halbherzige Zustimmung und rang sich ein Grinsen ab. Gerade, als er etwas sagen wollte, kam der Chief reingerauscht.
„Peter, äh …“, er deutete auf Jack und versuchte, sich an seinen Namen zu errinnern.
„Jack“, sagte ich trocken.
„Ah ja, stimmt. Peter, Jack, ab sofort keine Alleingänge mehr. Ihr macht alles zusammen und habt eure Waffen bei euch zu tragen. Ich werd euch zwei Kollegen vor jede Wohnung stellen, die auf euch aufpassen, keine Widerrede. Keinen Ton zu niemandem, was den Fall angeht, und geht nach Hause. Macht euch nen ruhigen Abend, morgen wissen wir mehr und alles sieht anders aus.“
Ohne zu fragen griff er sich die zweite Tasse Kaffee, die ich mitgebracht hatte, und sah uns erleichtert an. „Danke, die hab ich gebraucht“, sprachs, trank einen Schluck und war schon wieder weg. Jack und ich sahen uns fragend an.
„Es wird wohl besser sein, wenn wir uns ein wenig näher im Hotel umsehen, meinst du nicht auch, Jack? Komm, ich lad dich aufn Bier ein, haste dir verdient, nachdem dein Feierabend ohnehin schon so chaotisch war. Er war immerhin vor zwei Stunden.“
Jack sah mich zunächst fragend an, nickte dann aber zustimmend. Er hatte wieder den Blick, an dem man genau sah, dass er sich auf etwas sehr freute. Warum, wusste ich nicht, aber wäre es wichtig gewesen, hätte er es mir gesagt. Wir stiefelten aus dem Büro in Richtung Aufzug. Auf halbem Wege machte ich kehrt und ging zurück, meine Waffe holen, die Anordnung vom Chief war deutlich gewesen. Als ich wieder zu Jack zurückging, sah ich ihn fragend an.
„Und, hast du auch deine Waffe mit?“
Er nickte und zwinkerte mir zu. Gemeinsam fuhren wir mit seinem Wagen zum Anthrocon Hotel.